Minsk II – Minsker Abkommen
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Mit Minsk II, auch Minsker Abkommen genannt, wird der vom französischen Präsidenten François Hollande, der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko sowie dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ausgehandelte und von den Teilnehmern der Trilateralen Kontaktgruppe am 12. Februar 2015 unterzeichnete Maßnahmenkomplex zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen bezeichnet. Vertragspartner als Unterzeichnende waren 2015: Der frühere Präsident der Ukraine Leonid Kutschma, der Botschafter der Russischen Föderation in der Ukraine Michail Surabow, die Milizenführer der selbstproklamierten und international bislang nicht anerkannten „Volksrepubliken“ Luhansk bzw. Donezk Igor Plotnizki bzw. Alexander Sachartschenko sowie die OSZE-Beauftragte Heidi Tagliavini.
Das Abkommen zielt auf eine Deeskalation und Befriedung des seit 2014 in der Ost-Ukraine herrschenden Kriegs und eine politische Beilegung des Konflikts. Es konkretisiert mit dem vereinbarten Maßnahmenkomplex den Weg der Umsetzung von Minsk I.
Vor dem Gipfeltreffen hatte US-Präsident Barack Obama mit Wladimir Putin und Petro Poroschenko telefoniert. Zeitweise nahmen auch die Delegationen der Verhandlungspartner mit den Außenministern der vier Länder an dem Gespräch teil: der französische Außenminister Laurent Fabius, der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin, der russische Außenminister Sergei Lawrow sowie der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier.
Beobachter bezweifelten schon früh, dass das Abkommen durchdacht sei: Bereits kurz nach der Unterzeichnung der Vereinbarung traten russlandtreue Kämpfer zum Sturm auf Debalzewe an, eroberten den Ort drei Tage nach der offiziell verkündeten Waffenruhe, womit das Abkommen bereits gebrochen war. Im weiteren Verlauf schwelte der Konflikt mit wechselnder Intensität weiter. Im Juni griffen die regierungsfeindlichen Truppen den Ort Marjinka westlich von Donezk an, im August 2015 kam es im Frontabschnitt von Mariupol zu einem schweren Angriff. Der Historiker Juri Felschtinski analysierte: „Die Minsker Verträge sind für Putin eine militärische List zur Umgruppierung der Streitkräfte und zum Überdenken der Situation. Sie sind so zusammengestellt, dass Russland zu nichts verpflichtet wird. Sämtliche Verpflichtungen übernehmen die „Separatisten“ oder Kiew, und sogar Europa – aber nicht Russland. Die Interpretation der Verträge ist beliebig – von jeder der beteiligten Seiten. Es ist absolut unmöglich herauszubekommen, wer gegen was verstoßen hat, die „Separatisten“ tragen keine Verantwortung, vor niemandem.“
Vorgeschichte
Am 29. Januar 2015 beschlossen die EU-Außenminister auf einem Sondertreffen in Brüssel, die bislang gegen Russland verhängten Sanktionen bis September zu verlängern. Für ihr nächstes, am 9. Februar 2015 geplantes reguläres Treffen sollten neue, zusätzliche Sanktionen identifiziert werden.
Am 30. Januar 2015 trafen sich Hollande und Merkel in der elsässischen Stadt Straßburg auch mit EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Das Gespräch wurde als vertraulicher Austausch über aktuelle Fragen bezeichnet; es wurden keinerlei Inhalte verlautbart.
Am 6. Februar 2015 kommt es zu einem Gespräch im Kreml zwischen François Hollande, Angela Merkel und Wladimir Putin über die Situation in der Ostukraine.
Am 9. Februar 2015 wurde mitgeteilt, dass die EU-Außenminister auf ihrem Treffen in Brüssel das Inkraftsetzen neuer Sanktionen in Form von z. B. weiteren Reise- und Vermögenssperren auf den 16. Februar verschieben wollten.
Am 10. Februar 2015 wurde unter Berufung auf die russische Nachrichtenagentur TASS gemeldet, dass vor einem für den 11. Februar geplanten Krisengipfel von Hollande und Merkel mit Poroschenko und Putin in Minsk eine Feuerpause und ein Rückzug schwerer Waffen für die Ostukraine vereinbart worden sei. Dies geschah bei einem Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe am Abend in Minsk und unter Vermittlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Teilnehmer waren der ukrainische Ex-Präsident Leonid Kutschma (mit einem Mandat der proeuropäischen Führung in Kiew), aus den nicht anerkannten „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk die Separatistenvertreter Wladislaw Dejnego sowie Puschilin, darüber hinaus der russische Diplomat Michail Surabow und Heidi Tagliavini von der OSZE.
Verhandlungen
Die Vereinbarung wurde am 12. Februar 2015 in der belarussischen Hauptstadt Minsk unterzeichnet. Die vier Staatschefs Hollande, Merkel, Poroschenko und Putin führten die Verhandlungen überwiegend unter vier Augen, wobei teilweise auch Dolmetscher, Berater und Außenminister anwesend waren. Die Führer der selbsternannten „Volksrepubliken“ waren hingegen abwesend und wurden nach Angaben Hollandes von keinem der Teilnehmer gesehen. Die Verhandlungen dauerten insgesamt 17 Stunden. Laut der Badischen Zeitung sah Putin einen Hauptgrund für die lange Verhandlungsdauer darin, dass Poroschenko nicht direkt mit den Machthabern der Rebellengebiete sprechen wollte. Hollande zufolge war der Grund hingegen, dass Putin eine Einigung hinauszögern wollte, um seinen Truppen genug Zeit zu geben, die ukrainische Armee zu umzingeln und neue Positionen einzunehmen. Zum Verhandlungszeitpunkt waren 5000 ukrainische Soldaten in Debalzewe eingekesselt. In seinen Memoiren schreibt Hollande, dass Putin den Waffenstillstand um drei Wochen hinauszögern wollte, Merkel und er selbst ihn jedoch auf wenige Tage herunterhandelten. Hollande berichtet, dass Putin mehrmals laut wurde und, an Poroschenko gerichtet, damit drohte, die ukrainischen Truppen zu zerschlagen. Damit habe Putin die Anwesenheit russischer Streitkräfte in der Ostukraine zugegeben, so Hollande.
Erst erneute Verhandlungen führten ab 1. September 2015 zu einem Abflauen der bis dahin täglich stattfindenden Kampfhandlungen, also zu jener Zeit, als Russland gleichzeitig seine Militärpräsenz in Syrien aufbaute. Des Weiteren standen eine UNO-Generalversammlung im September an sowie erneute Verhandlungen im Normandie-Format. Der Zeitrahmen wurde dort bis in das Jahr 2016 hinein verlängert, nachdem die Rebellengebiete zuvor angedroht hatten, den Prozess durch nicht dem Protokoll entsprechende Wahlen zu verlassen.
Nach Ansicht von Hrant Kostanyan vom Centre for European Policy Studies und Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik untergrub die EU ihre eigene Verhandlungsposition, indem sie eine Aufhebung der Sanktionen ohne ein Entgegenkommen Russlands in Aussicht gestellt habe. Der Kreml habe deshalb den Eindruck gewonnen, dass er die Sanktionen beseitigen könne, ohne seinerseits Zugeständnisse machen zu müssen. Äußerungen europäischer Politiker und speziell deutscher Diplomaten wie Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier würden die gemeinsame europäische Linie untergraben.
Inhalt
Die Vereinbarungen umfassen 13 Punkte:
- Unverzüglicher und allseitiger Waffenstillstand in einzelnen Gebieten der Oblaste Donezk und Lugansk der Ukraine und dessen striktes Befolgen ab 00 Uhr 00 Minuten (Kiewer Zeit) am 15. Februar 2015.
- Abzug aller schweren Waffen durch beide Seiten, auf gleiche Entfernung, um eine Sicherheitszone mit einer Breite von mindestens 50 Kilometern Abstand für Artilleriesysteme mit einem Kaliber von 100 mm und mehr, eine Sicherheitszone von 70 Kilometern Breite für Raketenartilleriesysteme und einer Breite von 140 Kilometern für Raketenartillerie des russischen Typs Tornado-S sowie der Typen Uragan, Smertsch und taktische Systeme vom Typ Totschka zu gewährleisten:
• Für ukrainische Streitkräfte: Gemessen von der faktischen Berührungslinie;
• Für die bewaffneten Verbände einzelner Gebiete der Oblast Donezk und Lugansk der Ukraine: gemessen von der Berührungslinie vom 19. September 2014.
Der Abzug der oben angeführten schweren Waffensysteme muss nicht später als am zweiten Tag des Waffenstillstands beginnen und innerhalb von 14 Tagen abgeschlossen sein.
Dieser Prozess wird durch die OSZE und die Dreiseitige Kontaktgruppe unterstützt. - Es ist ein effizientes Monitoring und eine Verifizierung des Waffenstillstands und des Abzugs der schweren Waffensysteme von Seiten der OSZE durchzuführen, beginnend mit dem ersten Tag des Abzugs der Waffensysteme, unter Einbezug aller notwendigen technischen Mittel, einschließlich von Satelliten, Drohnen, Ortungssystemen usw.
- Am ersten Tag nach dem Abzug [der schweren Waffen] ist ein Dialog über die Modalitäten der Durchführung regionaler Wahlen, in Entsprechung mit der ukrainischen Gesetzgebung und dem ukrainischen Gesetz „Über die zeitweilige Ordnung der lokalen Selbstverwaltung in einzelnen Gebieten der Oblaste Donezk und Lugansk“ zu beginnen, ebenso über den künftigen Status dieser Gebiete, auf der Grundlage des genannten Gesetzes.
Es ist unverzüglich, innerhalb von 30 Tagen nach der Unterzeichnung dieses Dokuments, von der Obersten Rada der Ukraine ein Beschluss darüber zu verabschieden, bei dem das Territorium bezeichnet wird, auf das sich die besonderen Regelungen in Entsprechung mit dem ukrainischen Gesetz „Über die zeitweilige Ordnung der lokalen Selbstverwaltung in einzelnen Gebieten der Oblaste Donezk und Lugansk“ beziehen, [und das] auf Grundlage der Linie, die im Minsker Memorandum vom 19. September 2014 definiert ist. - Es hat eine Begnadigung und Amnestie zu erfolgen, indem ein Gesetz verabschiedet wird, das eine Verfolgung und Bestrafung von Personen verbietet, die in Zusammenhang mit den Ereignissen stehen, welche in einzelnen Gebieten der Oblaste Donezk und Lugansk der Ukraine stattgefunden haben.
- Es ist eine Befreiung und ein Austausch aller Geiseln und unrechtmäßig festgehaltener Personen nach dem Prinzip „alle gegen alle“ vorzunehmen. Dieser Prozess muss spätestens am fünften Tag nach dem Abzug [der schweren Waffen] abgeschlossen sein.
- Es ist auf Grundlage internationaler Mechanismen für sicheren Zugang, Lieferung, Lagerung und Verteilung humanitärer Hilfsgüter für Bedürftige zu sorgen.
Wiederherstellung sozialer und wirtschaftlicher Verbindungen mit Kiew. - Es werden Modalitäten festgelegt, auf welche Weise die vollständige Wiederherstellung der sozialen und wirtschaftlichen Verbindungen vorgenommen werden wird, einschließlich der Überweisung von Sozialleistungen wie Rentenzahlungen und anderer Zahlungen (Zugänge und Einkünfte, rechtzeitige Bezahlung aller kommunalen Rechnungen, Wiederherstellung der Besteuerung im Rahmen des Rechtsfelds der Ukraine).
Zu diesem Zweck wird die Ukraine die Arbeit ihres Bankensystems in den Gebieten wiederherstellen, die durch den Konflikt berührt sind und es wird möglicherweise ein internationaler Mechanismus geschaffen werden, der solche Überweisungen erleichtert. - Es wird die vollständige Kontrolle über die Staatsgrenze von Seiten der ukrainischen Regierung im gesamten Konfliktgebiet wiederhergestellt, beginnend mit dem ersten Tag nach der Durchführung regionaler Wahlen, abgeschlossen nach einer allseitigen politischen Beilegung (regionale Wahlen in einzelnen Gebieten der Oblaste Donezk und Lugansk auf Grundlage des Gesetzes der Ukraine und einer Verfassungsreform) bis zum Ende des Jahres 2015, unter der Bedingung einer Umsetzung von Punkt 11 – durch Konsultationen und Abstimmung mit den Vertretern einzelner Gebiete der Oblaste Donezk und Lugansk im Rahmen der Dreiseitigen Kontaktgruppe.
- Abzug aller ausländischer bewaffneter Einheiten und von [deren] Militärtechnik, ebenso von Söldnern, vom Territorium der Ukraine unter Beobachtung durch die OSZE. Entwaffnung aller illegalen Gruppierungen.
- Durchführung einer Verfassungsreform in der Ukraine und Inkrafttreten einer neuen Verfassung bis Ende 2015. [Diese Verfassung muss] als Schlüsselelement eine Dezentralisierung (unter Berücksichtigung der Besonderheiten einzelner Gebiete der Oblaste Donezk und Lugansk) aufweisen, die mit den Vertretern dieser Gebiete abgestimmt ist, ebenso die Verabschiedung eines ständigen Gesetzes über den besonderen Status einzelner Gebiete der Oblaste Donezk und Lugansk in Entsprechung mit Maßnahmen, die in den Anmerkungen aufgeführt sind¹, bis zum Ende des Jahres 2015.
- Auf Grundlage des ukrainischen Gesetzes „Über die zeitweilige Ordnung der lokalen Selbstverwaltung in einzelnen Gebieten der Oblaste Donezk und Lugansk“ sind Fragen, welche regionale Wahlen betreffen, mit den Vertretern der einzelnen Gebieten der Oblaste Donezk und Lugansk im Rahmen der Dreiseitigen Kontaktgruppe zu besprechen. Die Wahlen werden unter Einhaltung der entsprechenden OSZE-Standards und unter Beobachtung von Seiten des OSZE-Büros für Demokratische Institutionen und Menschenrechte durchgeführt.
- Die Arbeit der Dreiseitigen Kontaktgruppe wird intensiviert, darunter durch die Schaffung von Arbeitsgruppen zur Umsetzung entsprechender Aspekte der Minsker Vereinbarungen. Diese [Arbeitsgruppen] werden in ihrer Zusammensetzung die Zusammensetzung der Dreiseitigen Kontaktgruppe widerspiegeln.
Darüber hinaus wollen Deutschland, Frankreich, Russland und die Ukraine ein Aufsichtsgremium aus Diplomaten zur Kontrolle der Umsetzung des Waffenstillstands installieren, das regelmäßig zusammentreffen soll.