Abhörskandal
Die Globale Überwachungs- und Spionageaffäre entstand aus Enthüllungen von als Top Secret gekennzeichneten Dokumenten der National Security Agency (NSA) und darauf folgend weiteren Veröffentlichungen und den internationalen Reaktionen darauf. Der US-amerikanische Whistleblower und ehemalige Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden enthüllte Anfang Juni 2013, wie die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich seit spätestens 2007 in großem Umfang die Telekommunikation und insbesondere das Internet global und verdachtsunabhängig überwachen. Als Rechtfertigung führen Politiker und Geheimdienstchefs der beiden Länder an, dass mit den Maßnahmen terroristischen Anschlägen vorgebeugt werde.
Die so gewonnenen Daten werden auf Vorrat gespeichert. Auch Gebäude und Vertretungen der Europäischen Union sowie die Vereinten Nationen sollen mit Hilfe von Wanzen ausspioniert worden sein. Zudem wurden zahlreiche führende Politiker, auch verbündeter Staaten, abgehört. Teilweise wurde in deren E-Mail-Konten eingedrungen. Im Verlauf der Affäre berichteten Medien auch über ähnliche Spionageaktivitäten anderer Staaten. Die Vorgänge führten zu teilweise erheblichen diplomatischen Spannungen, so sagte die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff einen USA-Besuch ab, und die Bundesrepublik Deutschland bestellte erstmals in ihrer Geschichte den US-amerikanischen Botschafter ein. In mehreren betroffenen Ländern haben Bürgerrechtsorganisationen gegen die massenhafte Überwachung der Bevölkerung protestiert und vor den Gefahren eines Überwachungsstaats gewarnt, zudem entwickelte sich eine anhaltende mediale Debatte. Vom Deutschen Bundestag wurde im Auftrag aller Fraktionen der NSA-Untersuchungsausschuss eingesetzt, um „[…] Ausmaß und Hintergründe der Ausspähungen durch ausländische Geheimdienste in Deutschland auf[zu]klären“.
Deutschland
Technische Aufklärung ist fester Bestandteil der US-Dienste in der BRD, seit es diese gibt; schon früh wurde zu diesem Zweck ein Verbund von Partnerdiensten aufgebaut. Bereits Konrad Adenauer unterschrieb einen Überwachungsvorbehalt, der den ehemaligen Besatzungsmächten weiterhin das Recht einräumte, den in- und ausländischen Post- und Fernmeldeverkehr zu kontrollieren. Unter den deutschen Diensten war für diese Praxis schon immer der BND Hauptpartner; 1993 erhielt er das ausschließliche Recht zum Informationsaustausch mit den Partnerdiensten. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel schrieb im Februar 1989: Vier Jahre nachdem George Orwell seine Dystopie „1984“ niedergeschrieben hatte, im Jahr 1952, wurde von der US-Regierung eine geheime Organisation von Orwell’schem Format gegründet, die fortan in Europa, von alliierten Sonderrechten ermächtigt, weitgehend nach eigenem Gutdünken operieren konnte. Das Fernmeldegeheimnis gelte in der BRD nichts: „Wer immer zwischen Nordsee und Alpen zum Telefonhörer greift, muss gewärtig sein, dass auch die NSA in der Verbindung ist – Freund hört mit.“ Dass auf westdeutschem Boden „offenbar mit Wissen und Billigung der Bundesregierung jeder Piepser abgehört wird“, gelte unter Geheimdienstexperten als sicher.
Bei der weltweiten verdachtsunabhängigen Überwachung der elektronischen Sprach- und Datenkommunikation ist Deutschland heute ein wichtiger Partner der NSA und der sie unterstützenden US-Unternehmen. Gleichzeitig werden die Deutschen von den westlichen Partnern überwacht. Der Spiegel schreibt: „Aus einer vertraulichen Klassifizierung geht hervor, dass die NSA die Bundesrepublik zwar als Partner, zugleich aber auch als Angriffsziel betrachtet. Demnach gehört Deutschland zu den sogenannten Partnern dritter Klasse. Ausdrücklich ausgenommen von Spionageattacken sind nur Kanada, Australien, Großbritannien und Neuseeland, die als Partner zweiter Klasse geführt werden. ‚Wir können die Signale der meisten ausländischen Partner dritter Klasse angreifen – und tun dies auch‘, heißt es in einer Präsentation.“
NSA-Standorte in Deutschland
Seit 1952 befand sich in der oberbayerischen Stadt Bad Aibling eine von der NSA betriebene Abhörstation (Field Station 81).[49] Die Anlage wurde auch von britischen und deutschen Geheimdiensten mitgenutzt und 2004 auf Druck der Europäischen Union geschlossen, einzelne Abteilungen wurden nach Griesheim in den Dagger Complex und auf den August-Euler-Flugplatz verlegt. Teile der Einrichtungen werden heute vom Bundesnachrichtendienst, dessen Fernmeldeverkehrstelle in einer benachbarten Bundeswehrkaserne stationiert ist, weiterbetrieben. Nach Angaben von Edward Snowden „unterhalten NSA-Abhörspezialisten auf dem Gelände der Mangfall-Kaserne in Bad Aibling eine eigene Kommunikationszentrale und eine direkte elektronische Verbindung zum Datennetz der NSA.“
Am 7. Juli 2013 wies der Spiegel darauf hin, dass die Streitkräfte der Vereinigten Staaten in Wiesbaden ein Consolidated Intelligence Center (deutsch: „Vereinigtes Nachrichtendienstliches Zentrum“) bauen, das nach Fertigstellung Ende 2015 auch von der NSA genutzt werden solle.[50] Auch das Personal des Dagger-Komplexes soll dorthin verlegt werden. Dazu gehören etwa 1100 „Intelligence Professionals“ und „Special Security Officers“.
Zusammenarbeit von BND und NSA
Des Weiteren berichtet der Spiegel, der Bundesnachrichtendienst (BND) übermittele in großem Umfang Metadaten aus der eigenen Fernmeldeaufklärung an den amerikanischen Geheimdienst NSA. Unter Metadaten sind prinzipiell Verbindungsdaten zu Telefonaten, E-Mails, SMS und Chatbeiträgen zu verstehen – zum Beispiel, wann welcher Anschluss mit welchem Anschluss wie lange verbunden war. Laut einer Statistik, die der Spiegel einsehen konnte, werden an normalen Tagen bis zu 20 Millionen Telefonverbindungen und um die 10 Millionen Internetdatensätze, die aus Deutschland kommen, gespeichert. Im Dezember 2012 sollen es rund 500 Millionen Metadaten gewesen sein, die in Bad Aibling erfasst wurden. An Spitzentagen wie dem 7. Januar 2013 überwachte die NSA rund 60 Millionen Telefonverbindungen in Deutschland.
Der deutsche Auslandsgeheimdienst hatte diese Weitergabe eingestanden, versicherte aber, dass diese Daten vorher um eventuell enthaltene personenbezogene Daten deutscher Staatsbürger „bereinigt“ werden. Der Zeit zufolge werden dazu etwa alle E-Mail-Adressen mit der Endung .de sowie alle Telefonnummern mit der Landeskennung +49 ausgefiltert. Die Befugnisse des deutschen Auslandsgeheimdienstes sind im Wesentlichen in zwei Gesetzen geregelt: dem sogenannten G-10-Gesetz und dem BND-Gesetz. Am 28. April 2002 wurde ein „Memorandum of Agreement“ zwischen dem BND und der NSA zur zukünftigen Zusammenarbeit über die Einrichtung einer gemeinsamen SIGINT-Stelle in Bad Aibling geschlossen, wobei der genaue Inhalt geheim ist. Dies geschah etwa zeitgleich mit weiteren deutschen Gesetzesänderungen im Rahmen des deutschen Beitrags zum US-amerikanischen Krieg gegen den Terror. Dieses Abkommen ist die aktuelle Grundlage für die Zusammenarbeit zwischen BND und NSA.
Im Mai 2015 berichtete Zeit Online, dass der BND weitaus mehr Metadaten an die NSA übermittelt als bekannt. Von den 6,6 Milliarden Metadaten, die der BND monatlich abfängt, werden bis zu 1,3 Milliarden Metadaten an die NSA weitergereicht. Diese sind zwar angeblich aufgrund der G-10-Gesetzgebung gefiltert, allerdings gaben die Verantwortlichen im NSA-Untersuchungsausschuss zu, dass die Filter nicht richtig funktionieren. Mit Hilfe dieser BND-Metadaten erstellen NSA und CIA unter anderem Ziele für Kampfdrohnen, die von der Ramstein Air Base in Ramstein-Miesenbach als Schnittstelle zur Planung und Steuerung der Einsätze gegen mutmaßliche Terroristen in Afrika und im Nahen Osten dienen.
Nach Recherchen des NDR und der Süddeutschen Zeitung werden Aussagen von Asylbewerbern über die Sicherheitslage in ihren Heimatländern von deutschen Geheimdienstlern der „Hauptstelle für Befragungswesen“ (HBW) (eine Einrichtung, die eng mit dem Bundesnachrichtendienst zusammenarbeitet und direkt dem Kanzleramt unterstellt ist) gesammelt und dann vom BND an die Militärgeheimdienste der USA und Großbritanniens weitergegeben. Dort fließen sie auch in die Zielerfassung für US-Tötungsaktionen mit Kampfdrohnen in Krisengebieten wie Somalia oder Irak ein.
Wie der Spiegel in seiner Ausgabe 25/2014 berichtet, sollen in Deutschland derzeit mehr als 200 US-Agenten mit offiziellem Diplomatenstatus akkreditiert sein, unter anderem auch in Bad Aibling (Stand: Juni 2014). Die US-Agenten konnten dabei durch eine Ausnahmeklausel auch deutsche Bürger anvisieren, wenn terroristische Aktivitäten erkennbar waren. Aus dem Snowden-Material geht weiterhin hervor, dass im Januar 2005 ein NSA-Bericht die aus Deutschland stammenden Erkenntnisse lobt. Sie seien für die Festnahme oder Tötung von mehr als 40 des Terrorismus Verdächtigter verantwortlich.
BND-NSA-Affäre 2014/2015: Operation Eikonal
Der BND lauscht am Frankfurter Internetknoten DE-CIX unter dem Namen Operation Eikonal und hat zumindest zwischen 2004 und 2008 große Mengen der dort abgefangenen Rohdaten direkt an die NSA weitergeleitet, so berichten Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR im Juni und Oktober 2014. Daten von Deutschen sollen zuvor, teils manuell, ausgefiltert worden sein. Angeblich soll die Operation vom damaligen BND-Chef Ernst Uhrlau 2007 gegen den Willen der NSA gestoppt worden sein. Im Kanzleramt war man zu dem Schluss gekommen, dass die Aktion „politisch viel zu heikel“ sei.[65][66]
Bei dieser Operation wurden weder das Parlamentarische Kontrollgremium noch die Bundestagskommission, die für die Abhörmaßnahmen der Geheimdienste zuständig ist, jemals informiert. Nach Angaben des Bundestagsabgeordneten und Mitglied des NSA-Untersuchungsausschusses, Christian Flisek, endete die Operation Eikonal 2008, da der BND angeblich so starke Datenfilter eingesetzt hatte, dass das übriggebliebene Material für die NSA von geringem Interesse war.[68] Der Zeuge „W. K.“ bestätigte jedoch am 13. November 2014 in der 22. Sitzung des NSA-Untersuchungsausschusses das Fortbestehen der Methodik:
„Eikonal beinhaltete selektive Erfassung von Ausland-Ausland-Transitverkehr. Zeit nicht vergessen: Afghanistan, Terror-Aufklärung. Da wurden selektiert Daten erfasst und automatisiert weitergeleitet. Genaueres nur nicht-öffentlich (NÖ), wir machen die Methodik ja immer noch.“
– Live-Blog aus der 22. Sitzung des NSA-Untersuchungsausschusses
Am 23. April 2015 berichteten Medien über das Ausmaß der Operation Eikonal. Aufgrund eines Beweisantrags der Bundestagsfraktionen wurde untersucht, wie viele der 800.000 Selektoren (IP-Adressen, E-Mail-Adressen, Telefonnummern, Geokoordinaten, MAC-Adressen) gegen deutsche und europäische Interessen gerichtet waren.[70][71] Diese Selektoren bekam der BND von der NSA über den Verlauf von 10 Jahren automatisch zugewiesen; mehrmals am Tag hat sich ein BND-Server mit einem NSA-Server verbunden und neue Selektoren heruntergeladen. Die gewonnenen Erkenntnisse wurden dann an die NSA weitergeleitet.
Schon 2013, nach Veröffentlichung der Snowden-Dokumente, stellte der BND eine Liste aller möglicherweise problematischen Selektoren zusammen. Sie umfasste 2.000 eingesetzte und nicht aussortierte, rechtswidrige Selektoren. Im Zuge der neuen Untersuchungen von März bis Mai 2015 wurden weitere 459.000 solcher Selektoren gefunden, es handelt sich dabei zum Beispiel um europäische Politiker und Unternehmen. Davon wurden nur 400 aussortiert.[73] Derzeit (Stand: Mai 2015) ist unklar, wie viele dieser Selektoren vom BND abgelehnt oder ausgeführt wurden, ob es noch mehr gibt und um welche es sich genau handelt. Der Spiegel berichtete am 15. Mai 2015, dass über die Hälfte der 40.000 Selektoren, die im März 2015 gefunden worden sind, auch aktiv waren, das heißt tatsächlich zur Ausforschung von Behörden, Unternehmen und anderen Zielen in Europa verwendet worden sind.
Die BND-Einrichtungen seien im bayerischen Bad Aibling genutzt worden, um hochrangige Beamte des französischen Außenministeriums, des Präsidialstabs und der EU-Kommission auszuspähen. Unternehmen seien vor allem betroffen, weil die USA angeblich nach Hinweisen auf illegale Exportgeschäfte gesucht hätten. Auch die Zahl der von den USA seit Beginn der Kooperation angelieferten Selektoren wurde bekannt; allein im Jahr 2013 waren es 690.000 Telefonnummern und 7,8 Millionen IP-Suchbegriffe, berichtet der Rechercheverbund von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR am 30. April.
Die FAZ berichtete am 27. April 2015, dass Unterlagen, die dem NSA-Untersuchungsausschuss vorlägen, eindeutig belegen, dass das Kanzleramt informiert worden sei und die Spionage-Aktivitäten der NSA offenbar geduldet habe. Die Bild zitiert einen Beteiligten mit der folgenden Aussage: „Man hat damals gesagt: ‚Wir brauchen die Informationen der Amerikaner, so läuft es nun mal, wir wollen die Zusammenarbeit nicht gefährden‘“. Das Kanzleramt habe gewusst, dass die NSA Deutsche und Europäer ausspähen wollte, und es geschehen lassen, so die FAZ.
Der Focus schrieb am 27. April 2015 zudem, „dass es bei den Vorwürfen konkret um mindestens zwei Dokumente gehe, die der BND 2008 und 2010 ans Kanzleramt geschickt habe. In beiden Fällen sollte das Kanzleramt auf hochrangige Gespräche mit US-Geheimdienstlern vorbereitet werden.“ Es sei um die Vorbereitung einer USA-Reise des damaligen Kanzleramtschefs Thomas de Maizière gegangen, der „sehr wahrscheinlich“ informiert worden sei. Eingeweiht gewesen seien jedenfalls der heutige (Stand: April 2015) BND-Vize Guido Müller und Günter Heiß, der im Kanzleramt immer noch für Geheimdienste zuständig ist. Auch nannte der Focus das Jahr 2010 als Zeitpunkt, „seit dem das Kanzleramt spätestens wusste, dass zahlreiche dieser Ziele massiv gegen deutsche Interessen verstießen, jedoch nichts unternommen wurde.“
Mindestens bis 2013 spähte die NSA deutsche und europäische Ziele aus. Dies bestätigte die Bundesregierung am 4. Mai 2015 in einem Geheimpapier, welches das ZDF-Magazin Frontal21 einsehen konnte. Demnach stellte der BND noch am 26. August 2013 fest, dass die NSA aktuelle Mail-Adressen von europäischen Politikern, Ministerien europäischer Mitgliedstaaten, EU-Institutionen, aber auch Vertretungen deutscher Unternehmen ausspähe. Dass die amerikanische Spionagepraxis gegen deutsche Interessen verstieß, werde in dem Papier eingeräumt.
Klaus Landefeld, Beirat der DE-CIX Management GmbH, führte im NSA-Untersuchungsausschuss aus, dass der BND sich nicht nur für außerdeutsche Leitungen interessiere, wie etwa in den arabischen Raum, sondern auch für innerdeutsche Leitungen, auf denen über 90 Prozent des Verkehrs durch die Grundrechte geschützt seien. Es ließe sich „absolut nicht trennscharf“ entscheiden, was im Netz „deutsch ist oder nicht“. Auch die 20-Prozent-Regel, nach der Geheimdienste ein Fünftel der Leitungskapazität ausleiten dürfen, würde nicht real praktiziert, so Landefeld. Die Provider legen ihre Leitungen so an, dass sie in der Regel nur zu 30 oder 40 Prozent ausgelastet seien. Mit der 20-Prozent-Regel lande man bei 50 bis 60 Prozent des durchgeleiteten Verkehrs, was nicht im Sinne des Gesetzes sei. Weiterhin sagte er, dass den sichersten Schutz gegen eine Überwachung eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung der Dateninhalte biete. Das sei „das einzige, was hilft. Alles andere ist illusorisch“, so Landefeld.
Veröffentlichung der Selektorenliste
Anfang Juli 2015 veröffentlichte WikiLeaks die Spähziele der NSA in deutschen Ministerien, zudem auch Abhörprotokolle von vertraulichen Gesprächen von Bundeskanzlerin Merkel.
In der NSA-Überwachungsliste stehen 69 Regierungstelefonnummern, insbesondere aus dem Wirtschafts- und Landwirtschaftsministerium, auch die der persönlichen Assistentin von Angela Merkel. Bereits 2013 war bekannt, dass ein von der Kanzlerin genutztes Handy abgehört wurde.
Die Existenz von Selektoren zeigt einerseits, dass die Dienste nicht ohne Anlass und wahllos mithören, sondern eben selektiv; andererseits zeigen sie, wie die Dienste gezielte Wirtschafts- und Politikspionage betreiben.[92][93]
In der Zusammenarbeit mit der NSA prüft der BND die vorgelegten Selektoren und löschte diejenigen, die sich auf deutsche Teilnehmer beziehen.
Zusammenarbeit von Verfassungsschutz und NSA
Einem Bericht der Süddeutschen Zeitung vom 13. September 2013 zufolge liefert das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) regelmäßig vertrauliche Daten an die NSA und arbeitet mit acht weiteren US-Diensten zusammen. Laut einem vertraulichen Papier übermittelte das Bundesamt im Jahr 2012 864 Datensätze an die NSA. 2013 wurden in 1163 Fällen und im ersten Quartal 2014 in 400 Fällen Informationen an die NSA weitergegeben. Im Gegenzug erhielt das BfV in den letzten vier Jahren 4.700 Verbindungsdaten. Derzeit teste der BfV die Überwachungssoftware XKeyscore. Die Süddeutsche Zeitung schreibt: „Sollte der Geheimdienst das Programm im Regelbetrieb nutzen, hat sich das BfV verpflichtet, alle Erkenntnisse mit der NSA zu teilen.“ Dies hatte BfV-Präsident Hans-Georg Maaßen der NSA zugesichert. Außerdem soll es regelmäßige Treffen zwischen Vertretern der NSA und dem BfV geben. Ein NSA-Mitarbeiter treffe sich zum Informationsaustausch angeblich wöchentlich mit deutschen Geheimdienstmitarbeitern in der „BfV-Liegenschaft Treptow“. Des Weiteren sollen sich Analysten des BfV mehrmals mit ihren amerikanischen Kollegen im US-Stützpunkt Dagger Complex in Darmstadt getroffen haben. Das Parlamentarische Kontrollgremium des Deutschen Bundestags soll „vollumfänglich“ informiert gewesen sein.
Analytische Tätigkeiten von US-Unternehmen
Die Bekanntmachung der deutsch-amerikanischen Vereinbarung über die Gewährung von Befreiungen und Vergünstigungen an die Unternehmen „Lockheed Martin Integrated Systems, Inc.“ und „Booz Allen Hamilton, Inc.“ wurde am 12. Februar 2009 verkündet. Rechtsgrundlage für die Vereinbarung war Artikel 72 Absatz 4 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut. In der Drucksache 17/5586 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln) et al. vom 14. April 2011 bestätigte die Bundesregierung, dass im Zeitraum Januar 2005 bis Februar 2011 292 US-Unternehmen Vergünstigungen auf Grundlage des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut eingeräumt wurden. Bei den Vergünstigungen handelt es sich um Befreiungen von den deutschen Vorschriften über die Ausübung von Handel und Gewerbe, ausgenommen Vorschriften des Arbeitsschutzrechts.
Der IT-Dienstleister Computer Sciences Corporation (CSC), der unter anderem Auftragnehmer der CIA und NSA ist sowie in Entführungen und Folterungen verwickelt war, unterhält in Deutschland die Tochtergesellschaft CSC Deutschland Solutions GmbH mit Hauptsitz in Wiesbaden. Diese habe seit den 1990er Jahren Aufträge von Bundesministerien in einem Gesamtvolumen von ca. 300 Mio. Euro und dabei Zugriff auf sensible Daten erhalten. Neben dem Projekt De-Mail, das laut Bundesregierung eine sichere Kommunikation mit Behörden erlauben soll, war CSC Deutschland am Aufbau des nationalen Waffenregisters, bei der Überprüfung des Staatstrojaners und der Einführung des neuen Personalausweises beteiligt. Weder CSC Deutschland noch das Bundesministerium des Innern wollten sich zu einer möglichen Weitergabe von deutschen (Staatsbürger-)Daten durch CSC Deutschland über CSC an US-amerikanische Dienste im November 2013 äußern.
Mehr als 100 US-Datenanalyseunternehmen wurden in Deutschland zumindest in den Jahren 2011 und 2012 den US-Streitkräften rechtlich gleichgestellt und ihnen somit Netzwerküberwachung gestattet.
Überwachung von Kanzlerin Merkel und anderer Spitzenpolitiker
Nach Berichten des Spiegels beschreiben interne Dokumente der NSA ein Abhörprogramm, das Special Collection Service (SCS) genannt wird. Daran sind angeblich weltweit mehr als 80 Botschaften und Konsulate beteiligt. 19 davon befinden sich in Europa – beispielsweise in Paris, Madrid, Rom, Prag, Wien und Genf. Lauschposten in Deutschland sollen sich im US-Generalkonsulat Frankfurt und in der Botschaft der Vereinigten Staaten in Berlin befinden, die über die höchste Ausstattungsstufe verfügen – d. h. mit aktiven Mitarbeitern besetzt sind. Den Berichten zufolge betreiben die SCS-Teams eigene Abhöranlagen, mit denen sie alle gängigen Kommunikationstechniken, wie Mobiltelefone, WLANs, Satellitenkommunikation etc. abhören können. Die dazu notwendigen Geräte sind meist in den oberen Etagen der Botschaftsgebäude oder auf Dächern installiert und werden mit Sichtblenden und Aufbauten geschützt.
Am 24. Oktober 2013 wurde von Hinweisen auf Lauschangriffe gegen ein Handy der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel berichtet. Aber nicht nur die deutsche Kanzlerin wurde überwacht, sondern die Telefon-Kommunikation einer Vielzahl von Spitzenpolitikern aus Mexiko, Brasilien, möglicherweise Frankreich und Italien. 36 Staats- und Regierungschefs sollen betroffen sein, deren Namen aber noch nicht bekannt sind (Signals Intelligence Directorate (SID)), wie der Guardian einen Tag später veröffentlichte.[8] Bei Merkels Handy handelt sich dabei um ein für Kommunikation in der CDU vorgesehenes Mobiltelefon, das von ihrer Partei zur Verfügung gestellt wird. Das offizielle Kanzler-Handy für den Dienstgebrauch schien hierbei nicht betroffen zu sein. Als Operationsbasis für die Lauschangriffe sei angeblich die Botschaft der Vereinigten Staaten in Berlin genutzt worden.
Ebenfalls am 24. Oktober wurde mit John B. Emerson – zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik – der Botschafter der Vereinigten Staaten in Deutschland in das Auswärtige Amt einbestellt. Ferner wurde an diesem Tag das Parlamentarische Kontrollgremium des Deutschen Bundestags zu einer Sondersitzung einberufen. Das für Europa zuständige Referat S2C32 „European States Branch“ (Abteilung Europäische Staaten) hatte Angela Merkel offenbar schon 2002 als Spionageziel unter dem Namen „GE Chancellor Merkel“ (DE Kanzlerin Merkel) in eine Liste mit Aufklärungszielen für die NSA eingetragen.
Wie die New York Times berichtete, spähte der US-Geheimdienst nicht nur die Kanzlerin, sondern den gesamten Berliner Politikbetrieb aus – inklusive ranghoher deutscher Beamte.[17] Dabei hatten es die US-Agenten nicht bloß auf Metadaten, sondern eindeutig auf die Inhalte abgesehen. Die ausspionierten Gespräche sollen in Datenbanken gespeichert worden sein und dort wochen- oder sogar monatelang zur Verfügung stehen. Das größte Interesse an den Telefongesprächen habe im US-Außenministerium, im US-Finanzministerium, bei anderen US-Geheimdiensten sowie im Nationalen Sicherheitsrat von Präsident Barack Obama bestanden. Da einige der Geheimdienstberichte der New York Times zufolge die abgehörten Telefongesprächen in der Rohfassung enthielten, könnten Obamas Sicherheitsberater das Ausspionieren der Politiker nicht „übersehen“ haben.
Laut der von Marcel Lazăr Lehel[19] unter dem Pseudonym Guccifer veröffentlichten E-Mails des Journalisten Sidney Blumenthal[20], welcher auch als Berater von US-Präsident Bill Clinton und der US-Außenministerin Hillary Clinton tätig war, überwachten die USA wiederholt Gespräche von Angela Merkel mit Finanzminister Wolfgang Schäuble, und von Merkel und Schäuble mit Gerhard Schindler und Generalmajor Norbert Stier, Präsident und Vizepräsident des Bundesnachrichtendienstes. So wurde am 6. Mai 2012 eine von Schäuble angesetzte sichere Telefonkonferenz mit Merkel zur Wahl François Hollandes zum französischen Präsidenten und zum Ergebnis der Landtagswahl in Schleswig-Holstein abgehört. In dem Gespräch schlug Schäuble unter anderem vor, vorgezogene Bundestagswahlen in Erwägung zu ziehen, um einem möglichen Linkstrend und somit einem drohenden Verlust der Regierungsmehrheit vorzubeugen. Schäuble berichtete auch über Informationen des Bundesamtes für Verfassungsschutz über das Erstarken rechtsextremer Parteien in Frankreich und Griechenland, und rechtsextremer paramilitärischer Gruppen in Schweden, Deutschland, Belgien und den Niederlanden, während sich Merkel besorgt über Beziehungen der CSU zu Rechtsextremisten in Deutschland und Österreich äußerte. Bei Gesprächen im Juli, August und September 2012 ging es um die Eurokrise und um anstehende Wahlen in den Niederlanden und Italien.
Am 5. Februar 2014 veröffentlichten die Süddeutsche Zeitung und der Norddeutsche Rundfunk nach gemeinsamen Recherchen, dass nicht nur Angela Merkel als Bundeskanzlerin, sondern auch ihr Vorgänger Gerhard Schröder in den Jahren 2002 bis 2005 von der NSA abgehört wurde. Schröders Konfrontationskurs gegen die USA bei der Vorbereitung des Irakkriegs und auch die Sorge vor einem Bruch in der Nato soll nach Angaben von ungenannten NSA-Insidern der Grund für die Überwachung Schröders gewesen sein.